Die Beschäftigung mit der Differentialdiagnose führt in einen besonderen Bereich der menschlichen Denktätigkeit und des Bildens von Vorstellungen.

Die differentialdiagnostische Beschreibung kindlicher Entwicklungsphänomene beschäftigt sich mit besonders komplexen Zusammenhängen, welche erforderlich machen, dass der differentialdiagnostisch Denkende sich nicht nur einfacher, experimentell gewonnener Tatsachen bewusst ist und diese in einen Zusammenhang denkt, sondern sich seine eigene differentialdiagnostische Tätigkeit lebensvoll zum Bewusstsein bringt. Nur dann wird die Erscheinung des Kindes und die Reflektion dieser Erscheinung im Denken so anwesend, dass der Blick von Befruchtung, über Embryologie, Wachstum, Verhalten, Handeln, Selbstreflexion als im Kind veranlagte Möglichkeiten mit dem diagnostischen Blick verschmelzen und zu einem befriedigenden Zustand für beide führen. Innerhalb des diagnostischen Prozesses muss das Moment der Urteilsbildung möglichst lange zurückgehalten werden, damit der Zusammenhang eines Symptoms mit möglichst vielen Phänomenen studiert werden kann. Differntialdiagnostisches Verhalten ist zugleich therapeutisches Handeln in einem Raum der bildenden, zwischenmenschlichen Kommunikation. Innerhalb diesen Rahmens bewegt sich insbesondere Osteoapthie als ein Konzept, welches mental und (ggf) leiblich unmittelbar ertastet, berührt.
Eine wichtige Etappe der Osteopathie ist die Erarbeitung von Modellen, welche empirisch und experimentell gewonnene Fakten so ordnen, dass die differenzierte Beobachtung und fühlende Palpation dem stattfindenden Entwicklungsprozess bildsam mitvollziehend dienen. Die Modelle sollen einerseits der Ausbildung von Wahrnehmungsfähigkeiten, andererseits dem organischen Mitgestalten in der diagnostisch-therapeutischen Handlung dienen.
Die lebendige Entfaltung des Menschen hat ihre Beziehung zu der Welt chemisch-physikalischer Gesetzmäßigkeit ebenso wie zu seelischen und geistigen Entwicklungsprozessen. Differentialdiagnostisches Verhalten bedeutet auch Entscheidungen zu fällen: ist dringliche prothetische Unterstützung durch chemische Medikamente, Operationen, Hilfsmittel, physikalische Therapien etc. notwendig, um das Haus des Lebens zu stützen? bedarf es pädagogischer Hilfe um leiblich-seelische Prozesse zu entfalten? findet die mentale Entwicklung ausreichend geistige Nahrung?
Die Unterscheidung in Prothetik, Pädagogik und Spiritualität scheint einfach, ist jedoch dem Differentialdiagnostiker hilfreich um seine momentanen technischen Fähigkeiten (kann ich operieren…?), sein pädagogisches Geschick und nicht zuletzt seine eigene Fragestellung an die Geheimnisse des Lebens zu klären, einzuschätzen und von anderen Menschen ergänzen zu lassen.